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Scheinselbstständigkeit: hohes Risiko für Freiberufler

Wer gut ver­dient, ist gern selb­ststän­dig. Nur die Ren­ten­ver­sicherung macht Pro­ble­me: Sie sieht Frei­be­ruf­ler und Klein­un­ter­neh­mer oft in Schein­selb­ststän­dig­keit. Auf­trag­ge­ber wol­len dann Ho­no­rare zu­rück, da An­ge­stell­te we­ni­ger ver­die­nen. Frei­be­ruf­ler brau­chen an­walt­lichen Rat.

Text: Sigrun an der Heiden


Ihr Wis­sen ist gefragt, ihre Hon­o­rare sind üppig. Hoch qual­i­fizierte Spezial­is­ten, etwa IT-Experten und selb­st­ständi­ge Inge­nieure, brauchen kaum staatlichen Schutz vor Aus­beu­tung. Von der Deutschen Renten­ver­sicherung Bund (DRV) bekom­men trotz­dem viele dieser Freiberu­fler regelmäßig Schein­selb­st­ständigkeit attestiert. Das macht sie zu Fes­tangestell­ten wider Willen: 96 Prozent der IT-Experten wollen unab­hängig sein, sie sind mit ihrer wirtschaftlichen Lage sehr zufrieden. Oft entschei­det die DRV zu Beginn der Exis­ten­z­grün­dung auch für Klei­n­un­ternehmer auf Schein­selb­st­ständigkeit. Wer unter 22.000 Euro Jahre­sum­satz erwirtschaftet, darf auf den Ausweis der Umsatzs­teuer verzicht­en. Doch da er wenig ver­di­ent, riskiert er beson­ders, dass die Renten­ver­sicherung ihm Schein­selb­st­ständigkeit bescheinigt. Viele Betrieb­sprü­fun­gen und jedes dritte Sta­tus­fest­stel­lungsver­fahren machen Freiberu­fler zu abhängig Beschäftigten. Das Haup­trisiko tra­gen die Auf­tragge­ber: Die Nachzahlung von vier Jahren Sozialver­sicherungs­beiträ­gen. Doch Schein­selb­st­ständi­ge müssen nun eben­falls bluten: Unternehmen kön­nen von ihnen einen Teil des Hon­o­rars zurück­fordern, da sie als Angestellte viel weniger ver­di­ent hät­ten. Betrof­fene brauchen dann den Rat eines Anwalts.

Frei­be­ruf­ler: Schein­selbst­stän­dig­keit trotz ho­hem Honorar

Beim Stich­wort Schein­selb­st­ständigkeit denken viele an Paket­boten, die zu Dump­ing­preisen zwölf Stun­den und länger Pakete aus­liefern. Die selb­st­ständi­gen Boten arbeit­en wie Fes­tangestellte – nur länger und bil­liger. Die Sozialver­sicherungs­beiträge sparen sich Auf­tragge­ber ganz. Schließlich ist der Dien­stleis­ter selb­st­ständig und fährt auf eigene Rech­nung. Solche Fälle von Sozialver­sicherungs­be­trug muss der Geset­zge­ber bekämpfen. Viele gut ver­di­enende Freiberu­fler ger­at­en jedoch eben­falls ins Visi­er der Renten­ver­sicherung. Das Damok­less­chw­ert Schein­selb­st­ständigkeit bedro­ht hoch qual­i­fizierte Freiberu­fler beson­ders, wenn sie in Räu­men des Auf­tragge­bers an Pro­jek­ten arbeit­en. Sie führen ein neues IT-Sys­tem ein, ret­ten Dat­en, treiben Inno­va­tio­nen voran, schulen Mitar­beit­er – und tra­gen kaum ein unternehmerisches Risiko. Denn sie verkaufen ihr Know-how, als Geschäft­sausstat­tung reicht ein Note­book. Sind sie dann in Arbeitsabläufe des Auf­tragge­bers einge­bun­den, unter­stellt die Renten­ver­sicherung trotz üppiger Hon­o­rare schnell Schein­selb­st­ständigkeit. Dabei sprechen ger­ade hohe Hon­o­rare für Selb­st­ständigkeit, sagt das Bun­dessozial­gericht. Auch Klei­n­un­ternehmer riskieren Schein­selb­st­ständigkeit, wenn sie in der Exis­ten­z­grün­dungsphase wenig ver­di­enen oder zunächst nur einen Auf­tragge­ber haben.

Keine ver­bind­lichen Kri­te­rien für Scheinselbstständigkeit

Es fehlen verbindliche Kri­te­rien, mit denen sich prüfen lässt, ob Schein­selb­st­ständigkeit vor­liegt. Trotz Forderun­gen von Wirtschaftsver­bän­den und Poli­tik geht es bei dem The­ma nicht voran. Wegen möglich­er Schein­selb­st­ständigkeit wollen Klei­n­un­ternehmer und Freiberu­fler mehr Rechtssicher­heit, eben­so die Auf­tragge­ber. Die bietet beispiel­sweise eine Klärung bei der Clear­ing­stelle der Renten­ver­sicherung, aber eine Antwort kommt erst nach durch­schnit­tlich 85 Tagen. Oft ist die Zusam­me­nar­beit dann schon been­det. Abhängige Beschäf­ti­gung attestiert die Renten­ver­sicherung also erst im Nach­hinein. Trotz­dem muss der Auf­tragge­ber die ganzen Sozialver­sicherungs­beiträge nachzahlen, wenn das Urteil für Freiberu­fler oder Klei­n­un­ternehmer auf Schein­selb­st­ständigkeit lautet. Freiberu­fliche IT-Experten ver­lieren Aufträge und fordern daher eine Über­ar­beitung des Sta­tus­fest­stel­lungsver­fahrens. 87 Prozent wollen die Ein­führung von Pos­i­tivkri­te­rien, die ihre Selb­st­ständigkeit zweifels­frei bele­gen. Tut der Geset­zge­ber nichts, entschei­den in let­zter Instanz die Gerichte, ob Schein­selb­st­ständigkeit vor­lag. Die Urteile fall­en unter­schiedlich aus – zum Teil wider­sprechen sie sich auch. Das verun­sichert. 56 Prozent der IT-Spezial­is­ten mussten deshalb schon wirtschaftliche Ein­bußen hinnehmen.

Scheinselbstständigkeit: hohes Risiko für FreiberuflerSchein­selb­ststän­dig­keit ist ein Ri­si­ko für Kleinunternehmer

Noch schwieriger als für Freiberu­fler ist es für Klei­n­un­ternehmer mit der Schein­selb­st­ständigkeit. Weil sie wenig ver­di­enen, ste­hen sie unter Gen­er­alver­dacht. Oft stellen Betrieb­sprüfer der Renten­ver­sicherung eine Schein­selb­st­ständigkeit fest. Die Indizien: geringe Umsätze, meis­tens nur für einen Auf­tragge­ber tätig, kein nen­nenswertes wirtschaftlich­es Risiko. Wer dann seine Arbeit­szeit nicht frei ein­teilen kann oder sich an Vor­gaben des Auf­tragge­bers hal­ten soll, gilt schnell als abhängig Beschäftigter. Viele Freiberu­fler und Klei­n­un­ternehmer wollen aber ihr eigen­er Herr sein und nicht auf der Gehalt­sliste des Auf­tragge­bers ste­hen. Um Schein­selb­st­ständigkeit zu ver­mei­den, soll­ten sie anwaltlich klären lassen, ob Verträge und Zusam­me­nar­beit mit ihren Kun­den rechtssich­er sind. Dies ist umso wichtiger, weil Auf­tragge­ber das Risiko nicht mehr allein tra­gen. Attestiert die Renten­ver­sicherung nachträglich Schein­selb­st­ständigkeit, mussten betrof­fene Freiberu­fler und Klei­n­un­ternehmer bis­lang max­i­mal Sozialver­sicherungs­beiträge für drei Monate nachzahlen. Der Arbeit­ge­ber darf die Beiträge vom kün­fti­gen Lohn abziehen, falls der Mitar­beit­er an Bord bleibt. Kün­ftig dro­hen auch Schein­selb­st­ständi­gen unkalkulier­bare finanzielle Risiken.

Schein­selb­ststän­dige müs­sen Ho­no­rare zurückzahlen

Das Bun­de­sar­beits­gericht hat die Recht­sprechung zulas­ten der Schein­selb­st­ständi­gen geän­dert. Attestiert die Renten­ver­sicherung einem Freiberu­fler oder Klei­n­un­ternehmer rück­wirk­end Schein­selb­st­ständigkeit und macht ihn zum sozialver­sicherungspflichtig Beschäftigten, dür­fen Auf­tragge­ber „überzahlte Hon­o­rare“ zurück­ver­lan­gen. Denn durch die nachträgliche DRV-Ein­stu­fung seien Auf­tragge­ber nur verpflichtet gewe­sen, die übliche Vergü­tung für Angestellte zu zahlen, so die Richter. Im konkreten Fall hat­te der Schein­selb­st­ständi­ge ein höheres Hon­o­rar kassiert. Die Dif­ferenz zwis­chen dieser Vergü­tung und dem üblichen Arbeit­slohn ver­gle­ich­bar­er Arbeit­nehmer musste er erstat­ten. Das übliche Gehalt bes­timmte das Unternehmen anhand des Lohn­spiegels der Bun­de­sagen­tur für Arbeit und Auskün­ften der IHK. Der inzwis­chen gekündigte IT-Mitar­beit­er musste 106.000 Euro zurück­zahlen. Für die Betrof­fe­nen kön­nen so hohe Regress­forderun­gen exis­tenzbedro­hend sein. Vor entsprechen­den Aufträ­gen soll­ten Klei­n­un­ternehmer und Freiberu­fler daher Schein­selb­st­ständigkeit mit dem Anwalt besprechen, um rechtliche und finanzielle Risiken zu begren­zen. Lautet das Urteil von DRV oder Richtern kün­ftig auf Schein­selb­st­ständigkeit, dürften sich­er mehr Auf­tragge­ber die finanzielle Rück­ab­wick­lung des Ver­tragsver­hält­niss­es verlangen.

Wie Frei­be­ruf­ler eine Schein­selb­ststän­dig­keit vermeiden

Angesichts solch­er Gefahren ist Vor­sicht das ober­ste Gebot. Um das Risiko Schein­selb­st­ständigkeit auszuschließen, soll­ten Freiberu­fler und Klei­n­un­ternehmer unbe­d­ingt den Rat eines Anwalts ein­holen. Er prüft, ob Verträge rechtssich­er for­muliert sind und die Zusam­me­nar­beit klar definiert ist, damit das Urteil nicht gegen sie aus­fällt. Zwar gibt es Kri­te­rien für Schein­selb­st­ständigkeit, auf die sich DRV und Richter berufen, jedoch keine geset­zlich fest­geschriebene Check­liste. Darum sollte nie­mand die fol­gen­den Punk­te als Check­liste missver­ste­hen, son­dern nur zur generellen Ori­en­tierung nehmen. Beson­ders gefährlich ist es, wenn ein Freiberu­fler oder Klei­n­un­ternehmer eine Schein­selb­st­ständigkeit fürchtet, weil er keine Mitar­beit­er hat. Dann sind am besten alle Tätigkeit­en zu ver­mei­den, die der eines Fes­tangestell­ten ähneln. Echte Selbstständige

• bes­tim­men selb­st für wen und wann sie arbeit­en, für sie gel­ten keine fes­ten Arbeitszeiten;
• entschei­den, ob sie Aufträge annehmen oder ablehnen;
• han­deln die Kon­di­tio­nen frei aus, ihre Hon­o­rare sind höher als das Gehalt von Angestellten;
• bleiben ihr eigen­er Chef, sie erhal­ten keine Weisungen;
• sind nicht in die Organ­i­sa­tion ihrer Auf­tragge­ber eingegliedert;
• bekom­men keine Vis­itenkarten ihrer Auf­tragge­ber und tra­gen keine Berufskleidung;
• machen Wer­bung in eigen­er Sache, haben eigene Geschäft­sräume und nutzen Räume des Auf­tragge­bers nur für einzelne Projekte;
• tra­gen ein wirtschaftlich­es Risiko, schaf­fen etwa Arbeits­geräte und Fahrzeuge selb­st an;
• nutzen daher nicht auss­chließlich die Betrieb­smit­tel des Auftraggebers.


Bei Fra­gen sprechen Sie uns gerne an.


Quelle: www.trialog-unternehmerblog.de, Her­aus­ge­ber: DATEV eG, Nürnberg

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